Sonntag, 5. Oktober 2014

Was ist Morbus Hunter?

Sonntag Nachmittag. Im Fernsehen laufen die olympischen Winterspiele 2014. Onkel Alex rauscht in einem Bob den Eiskanal hinab. Kilian liegt in seinem Fantrikot auf dem Sofa. Eingemummelt in einen Teamschal. Mama und Papa schauen gespannt auf den Fernseher. 
Kilian fängt an zu quengeln. Mein Mann legt ihn zu einem Schläfchen hin. Ungewöhnlich lange ist er ruhig. Als er aufwacht glüht er förmlich. Mein Mann wickelt ihn, ich gehe an den Medi-Schrank ein Zäpfchen holen. Aus dem Kinderzimmer tönt ein geschocktes "Ach du Scheiße!"

Leistenbruch...

Wir machen uns sofort auf in die Helios Klinik. Kilian schreit vor Schmerzen. Das Zäpfchen wirkt nur mäßig.

Notaufnahme, Ultraschall, Aufnahme auf Station und die schlimmste Nacht in einem Krankenhaus ever folgen. Dienstag dann die Operation. Alles verläuft gut, nur Stunden später lacht mein Sohn schon wieder fröhlich.

Einen Tag später bittet uns die behandelnde Kinderärztin zum Gespräch. Sie versucht, uns keine Angst zu machen, eigentlich besteht auch kein größerer Verdacht. Nur der Nabelbruch und jetzt der Leistenbruch, sonst keine Anzeichen...und doch

"Ihr Sohn hat vielleicht Mukopolysaccharidose!"

Die Ärztin bespricht mit uns kurz die weitere Vorgehensweise. Die Teilnahme an einer weltweiten Studie eines Münchner Instituts hält sie für ratsam. Weitere Untersuchungen will sie aufgrund der fehlenden weiteren Hinweise nicht vornehmen. Mit einem dicken Stapel Informationsmaterial werden wir aus dem Krankenhaus entlassen.

Was ist Mukopolysaccharidose II alias Morbus Hunter?

Es handelt sich hierbei um einen schweren Gendefekt, von dem hauptsächlich Jungen betroffen sind. Diese Genmutation beeinträchtigt die Aktivität eines Enzyms im Körper, dass für den Abbau und die Verwertung von Mukopolysacchariden verwantwortlich ist. Diese lagern sich dadurch in den Zellen ab und verursachen Funktionsstörungen. Morbus Hunter ist somit eine Stoffwechselerkrankung.

Kinder mit Morbus Hunter haben in der Regel vergröberte Gesichtszüge, dichte Augenbrauen, eine flache, eingesunkene Nasenwurzel, breite Lippen und eine vergrößerte Zunge. Typische Symptome von Morbus Hunter sind knötchenförmige Hautverdickungen, Herz-Kreislauf-Probleme, Störungen im Bereich des Magen-Darm-Trakts sowie eine verminderte Seh- und Hörfähigkeit. Bei schweren Verlaufsformen kommt es im Laufe der Zeit zu einem Verlust von körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Die Entwicklung der betroffenen Kinder kann rückläufig erscheinen. Bei milden Formen von Morbus Hunter ist die geistige Entwicklung allerdings kaum beeinträchtigt. Auch die Lebenserwartung ist sehr unterschiedlich. Manche Patienten werden lediglich 15 Jahre oder noch weniger alt, andere erreichen ein deutlich höheres Lebensalter.(Quelle)

Was soll die Studie erreichen und wie läuft diese ab?

Etwa eines von 77.000 Kindern in Deutschland und Österreich ist von Morbus Hunter betroffen, wobei die meisten erkrankten Kinder Jungs sind. Zur Risikogruppe zählen Kinder mit einem Nabelbruch, die zusätzlich innerhalb der Kindheit einen operationspflichtigen Leistenbruch entwickeln. Da die Krankheit so selten ist, sind die Screenings zur Früherkennung entsprechend teuer. Jedoch umso später die Krankheit behandelt wird, desto schlechtere Erfolge werden erzielt. Anhand 500 Babys der Risikogruppe (männlich, Nabelbruch, Leistenbruch) soll daher ermittelt werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit Morbus Hunter auftritt. Ziel ist es, für diese Risikogruppe ein Standardscreening zu etablieren.

Kilian wurde eine kleine Menge Blut abgenommen und an das Institut gesandt. Beim Ausfüllen der Unterlagen konnte ich zusätzlich entscheiden, ob ich über Zufallsbefunde informiert werden will. Ich bejahte diese Frage obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich es wirklich wissen will, falls etwas nicht stimmt. Allerdings könnten so vielleicht Krankheiten festgestellt werden, die eventuell heilbar sind. Durch das Institut wird man dann nach Abschluss der Untersuchung informiert, wenn etwas festgestellt wurde. Jedoch nur, wenn wirklich eine Krankheit vorliegt. Laut der Ärztin könne das bis zu 6 Monate dauern. Hört man in der Zeit nichts vom Institut, ist mit größter Wahrscheinlichkeit alles in Ordnung.

Frau Doktor hatte sich die größte Mühe gegeben, mir irgendwie zu vermitteln, dass Kili wahrscheinlich nicht an Morbus Hunter erkrankt ist. Trotzdem war sie regelrecht erfreut darüber mit ihm einen Probanden gefunden zu haben. Natürlich habe ich mich in den 6 Monaten immer wieder gefragt ob alles in Ordnung ist. Ich habe mich belesen und mein Kind beobachtet. Und wie es so ist, fängt man plötzlich an, in allem Symptome zu sehen. 
Im September waren die 6 Monate endlich vorüber. Ohne eine Antwort vom Institut. Ich bin erleichtert, möchte aber trotzdem für einen kurzen Moment eure Aufmerksamkeit auf eine Erkrankung lenken, die kaum jemand kennt, die aber jede Beachtung verdient um vielleicht bald geheilt werden zu können.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen